glitterballshooting

19. Dezember 2013 ab 19 Uhr
kestnergesellschaft Hannover

5 Tage vor Heiligabend, wenn der Vorweihnachtswahn seinen Höhepunkt erreicht, brauchen die Menschen Ruhe und Rast.

Oder sportliche Betätigung und reichlich Punsch.

glitterballshooting 2013

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Am Donnerstag, den 19. Dezember wird ab 19 Uhr das Feuer auf einen festlich dekorierten Weihnachtsbaum eröffnet. (Luftgewehr)


Weihnachtsfeier von kunstkomm

kunstkommkestnergesellschaft
Goseriede 11
30159 Hannover




Predigt am 2. Weihnachtstag 2013 in der Markuskirche Hannover von Bertram Sauppe zu Carl Philipp Emanuel Bach: Magnifikat

» Predigt bei predigtpreis.de

Carl Philipp Emanuel Bach:
Magnificat

5. Bass: Fecit potentiam

Fecit potentiam
in brachio suo,
dispersit superbos
mentecordis sui.


Er übet Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffährtig sind
in ihres Herzens Sinn.

6. Alt, Tenor: Deposuit

Deposuit potentes de sede
et exaltavit humiles.
Esurientes implevit bonis
et divites dimisit inanes.

Er stößt die Gewaltigen vom
Stuhl und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
Und lässt die Reichen leer.

Als Predigttext wähle ich das Magnifikat der Maria, das steht im Lukasevangelium, im 1. Kapitel, ab Vers 46, und es steht auch in unserem Programmheft, ich schlage vor, Sie schlagen auf, ab Nummer 5, ich lese Nummer 6:

Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles.
Esurientes implevit bonis
et divites dimisit inanes.



Tja, liebe Gemeinde, ob das Absicht ist, das mit dem Latein? Denn was da steht, das passt ja nun so gar nicht zu den lieblichen Bildern einer unschuldig dreinblickenden Madonna. Der Evangelist Lukas hat seiner Maria da einen Lobgesang in den Mund gelegt, der sich gewaschen hat! Man sieht geradezu, wie Maria die Fäuste ballt angesichts der Ungerechtigkeit dieser Welt. Kein Wunder, dass unsere kirchliche Tradition es über viele Jahrhunderte vorzog, diesen wütenden Protest lieber auf Lateinisch weiterzugeben als in der jeweiligen Landessprache, in der Hoffnung vielleicht: so merkt es keiner, wes Geistes Kind Maria ist. Und man stelle sich vor, Carl Philipp Emanuel Bach hätte sein Magnifikat auf Deutsch singen lassen, damals 1749 in Berlin, als er das Stück schrieb, vermutlich (das ist eine Theorie) als Bewerbung um den Posten eines Hofkapellmeisters der Prinzessin Amalie von Preußen, immerhin keine Geringere als die Schwester von Friedrich dem Großen.

Gott stößt die Gewaltigen vom Thron, nein, er schubst sie nicht nur „vom Stuhl“, wie in unserem Programmheft vorsichtig formuliert wird, da ist mehr gemeint: Gott stößt die Gewaltigen vom Thron, und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Umverteilung nennt man so was, Revolution.

Sie müssen sich das mal vorstellen, eine der demütigen Marias aus den Bildern Raffaels oder Fra Filippos oder Leonardo da Vincis säße jetzt hier in der Markuskirche in einer Diskussionsrunde und gäbe zornig solche Sätze von sich wie diesen: Jetzt hebt er seinen gewaltigen Arm und fegt die Stolzen weg samt ihren Plänen.

Dann doch lieber: Fecit potentiam in brachio suo, dispersit superbos mente cordis sui. Klingt irgendwie netter und ist auch ungefährlicher. Übrigens, man kann die Sache auch verklausulieren ohne Latein, sieht man an unserem Luthertext: er zerstreut, die hoffärtig sind... Da merkt auch keiner, was gemeint ist. Und Maria und Josef und das Jesuskind gehen als beschauliche Kleinfamilie durch, die es sich unter dem Weihnachtsbaum gemütlich gemacht hat.

Apropos Weihnachtsbaum: letzten Donnerstag hatte ich die Einladung eines Performance-Künstlers. Hannes Malte Mahler, der hat unsere Kulturkirchenkarten entworfen, und er lud ein zum „Glitterballshooting“ in die Kestnergesellschaft. Dort hatte der Mahler einen Weihnachtsbaum bunt dekoriert. Na, wenn Sie sich unsere Karte anschauen, kriegen Sie vielleicht eine Idee, wie bunt. Also bunt, sehr bunt und doch auch sehr hübsch anzusehen. Bescheidene Zurückhaltung in der Kunst ist seine Sache nicht, Strohsterne pur auch nicht, viele bunte Glaskugeln schon eher. Sinn des Abends war nun, mit einem Luftgewehr die Kugeln abzuschießen. Glitterballshooting eben. Und ich war eingeladen, als Pastor! Wegen des Punsches, der auch eingeplant war, wäre ich sehr gern dorthin gegangen, aber, ich gebe zu, ich war zu feige. Drückeberger halt, ich habe mich damit entschuldigt, dass ich diplomierter Kriegsdienstverweigerer sei und deshalb nicht schießen könne. In Wahrheit hatte ich Angst, am nächsten Tag stünde in der Bildzeitung: Irrer Pastor schießt auf Weihnachtsbaum!

Nun es ist anders gekommen. Das NDR-Fernsehen hat von der Performance berichtet und es war doch ein Pastor dabei, ein anderer halt und es wurde ein vornehmer Herr interviewt, welcher nach der Schießerei meinte, jetzt habe er es der Amtskirche aber mal so richtig gezeigt, und dann kam der Pastor und sagte irgendwas Kluges und kam dann ganz groß raus und alle haben ihn bewundert im Fernsehen. Mist, wär’ ich bloß hingegangen!

Warum ich das erzähle, und was das mit der Maria zu tun hat? Naja, dieses Glitterballshooting bringt ja zwei Dinge zusammen, von denen wir meinen, eigentlich gehören die nicht zusammen. Weihnachten und Aggression nämlich. Da ist so ein schöner bunter Weihnachtsbaum und dann schießen die die Kugeln einfach kaputt und bereuen nix hinterher, nicht mal der Pastor. Da ist diese schöne junge Maria und haut Sachen raus, dass es einem schwindelig wird.

Und Weihnachten soll doch eigentlich Friede sein und dass wir uns vertragen und dass keiner auf den Weihnachtsbaum ballert und am Ende ist das ganze Weihnachtsfest nur noch ein Scherbenhaufen. Will keiner, kommt aber vor.

Eigenartig, dass es bei uns gerade um Weihnachten herum gern mal so richtig knallt. Jeder weiß das und man fragt sich: warum ausgerechnet zu Weihnachten?

Es könnte daran liegen, dass wir Weihnachten so richtig schön machen wollen, so schön wie dem Mahler sein Weihnachtsbaum, und dann kostet das richtig viel Kraft und die Seele hängt da auch mitten drin und es kostet noch mehr Kraft und wir lavieren echt am Limit. Und aus jedem Lautsprecher schallt es uns entgegen, dass jetzt Friede angesagt sei, und am Karussel hören wir gar, dass es außerdem Freude und Eierkuchen gebe. Friede, Freude, Eierkuchen, na hoffentlich hat kein Kind gekotzt.

Also gehört die Aggression, der Streit, die Wut nun zu Weihnachten dazu oder nicht?

Wenn wir die Maria aus dem Lukasevangelium fragen würden, die hätte vielleicht eine Antwort parat: Ja, Wut und Streit gehören auch zu Weihnachten, und zwar deshalb, weil diese Welt nun einmal nicht so heil ist wie wir das gern hätten.

Das heißt nun aber nicht, prima aggressive Weihnachten, ab sofort gilt das Motto: ohne Streit wird’s gar nicht richtig schön. Nein, im Gegenteil, natürlich tut ein richtig zerstrittenes Weihnachten auch richtig weh. Und wenn es zu Hause so richtig kracht, dann kann Glitterballshooting geradezu ein Kinderspiel dagegen sein. Zuerst die bunten Bauklötzchen sorgfältig zu einem hohen Turm aufschichten, dann bewundern und dann wieder einreißen. Rattatatang. Macht Spaß, sowas.

Aber wenn im echten Leben etwas zerbricht, dann tut das in der Regel richtig weh. Und auch so eine Umkehr, wie sie die Maria fordert, ist oft nicht ohne Schmerzen zu haben.

Das alles gehört auch zu Weihnachten? Ja, das gehört zu Weihnachten, so wie das Kreuz zum Glauben gehört.

Dietrich Bonhoeffer schrieb über das Magnificat der Maria1: „Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht ... ein hartes, starkes, unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht.“

Bonhoeffer hat den stürzenden Thron des Gewaltherrschers nicht mehr erleben dürfen, aber sein Glaube hing an dem einen Gott, der nicht den faulen, sondern den wahren Frieden bringt.

Nelson Mandela ist am 5. Dezember in Johannisburg gestorben. Der Frieden in seinem Land, die Überwindung der Apartheit, die Versöhnung ist nicht ohne Schmerzen zu haben gewesen. 27 Jahre (27 Jahre!) hat er im Gefängnis gesessen.

Wir wünschen uns die Schmerzen nicht, wir wünschen uns den Streit zu Weihnachten nicht, aber manchmal führt der Weg zur Heilung über den Schmerz, führt der Weg zu einem wirklichen Frieden über die Auseinandersetzung, im Kleinen wie im Großen, führt der Weg zum Neuanfang, zur Auferstehung durch das Kreuz, durch das Sterben hindurch.

Ach! Eins sollten wir aber doch nicht vergessen: dieser Lobgesang der Maria, das ist ein Jubellied. Das schallert ja nur so vor Freude. Man kann das hören in diesem Magnifikat Carl Philipp Emanuel Bachs. Magnifikat anima mea Dominum. Meine Seele erhebt den Herrn... Mit einem großen Jubelgesang beginnt es.

Und so feiert diese Musik die befreiende Kraft Gottes, die an Weihnachten so unscheinbar und so wehrlos wie ein Kind in diese Welt kommt und die doch Berge versetzen kann. So feiern wir heute voller Jubel, dass Weihnachten zu der Befreiungsgeschichte Gottes mit den Menschen gehört.

Ich denke noch einmal zurück an die Renaissance-Bilder von Maria. Und stelle mir vor, was für eine selbstbewusste, freie Frau dies gewesen sein könnte.

Eine Frau vielleicht wie Maria Aljochina, ich zitiere sie zum Schluss. Sie berichtet aus den beiden russischen Straflagern, in denen das System Putin sie als Mitglied der Punkband Pussy Riot gefangen gehalten hat, und ich füge aus aktuellem Anlass ein, der Kampf der Frauen von Pussy Riot ist vielleicht doch noch was anderes als wenn Leute sich Publicity verschaffen, wie der jungen Mann, der neulich mal eben unbekleidet durch das hiesige Fußballstadion rannte, weil ihn die Freundin verlassen hat oder jene Femen-Aktivistin, die im Weihnachtsgottesdienst des Kölner Doms gestern mit entblößtem Oberkörper vor Kardinal Meißner behauptete, sie sei der liebe Gott2.

Ich finde, der Kampf von Pussy Riot für die Demokratie in Russland ist da ein anderes Kaliber, in der Form wie in der Sache, auch in ihrer berechtigten Kritik an der Führung der russisch-orthodoxen Kirche, der sie mangelnde Distanz zum Putin-Staat vorwerfen. „Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin“ hatten sie in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gerufen und sinngemäß: „ihr sollt an Gott glauben und nicht an Putin!“ Dafür sind sie zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden. Maria Aljochina über ihre Erfahrungen im Lager3:

Die Menschen werden zum Verrat getrieben, jeglicher menschlicher Anstand schwindet. Es war schlimm zu sehen, wie sich Frauen diesem System ohnmächtig unterworfen haben. In mir rief es den Willen zum Protest hervor. Ich habe in der Strafkolonie endgültig verstanden, dass Freiheit nicht von der Höhe der Mauern abhängt, die dich umgeben. Die Lagerhaft hat mir geholfen, klarer zu sehen, was wichtig ist. In der Kolonie fängst du an, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit wirklich zu schätzen. Es gibt jeden Tag Situationen, in denen du dich zwischen Gut und Böse entscheiden musst.

Auch eine Maria. Amen.


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1 Zitat in: Hartmut Handt und Armin Jetter, Voller Freude. Liedandachten zu den Sonntagen und Festen des Kirchenjahres, Strube Edition 9044, München 2004, 1. Aufl., S. 20 (Fundstelle: Wikipedia, Art. „Magnifikat“)

2 Ich habe mich am 26.12.13 morgens auf eine entsprechende Meldung bei spiegel-online.de bezogen. „I am God“ hatte die junge Frau sich als Botschaft auf den Oberkörper geschrieben. Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 27.12.13, Seite 10 (dpa): Eine Aktivistin der Frauengruppe Femen hat die Weihnachtsmesse im Kölner Dom mit Kardinal Joachim Meisner auf spektakuläre Weise gestört. Kurz nach Beginn des Gottesdienstes stürmte die 20 Jahre alte Frau am Mittwoch aus der ersten Reihe nach vorne und sprang halbnackt auf den Altar.

3 spiegel-online.de am 25.12.13 www.spiegel.de/politik/ausland/pussy-riot-maria-aljochina-spricht-in-freiheit-ueber-kampf-gegen-putin-a-940811.html